Frontalkollision/Vollbremsung

Neben Heckanstößen und seitlichen Kollisionen werden auch bei Vollbremsungen und Frontalkollisionen Verletzungen der Halswirbelsäule vorgetragen. Eine Frontalkollision liegt beispielsweise für die Insassen des stoßenden Fahrzeugs bei einem Auffahrunfall vor. Die Insassenbewegung bei einem Frontalaufprall ist grundsätzlich anders als bei einem Heckanstoß. Bei einem Frontalaufprall bewegen sich die Insassen zunächst mit gleichbleibender Geschwindigkeit relativ zur Fahrgastzelle nach vorn. Diese Bewegung voll- zieht sich so lange, bis der Insasse durch den Sicherheitsgurt zurückgehalten wird. Hierbei vollzieht der Kopf eine nach vorn gerichtete Bewegung, eine so genannte Flexionsbewegung.

Zur Ermittlung der von Fahrzeuginsassen ohne Verletzungsfolge tolerierbaren Belastung bei Frontalkollisionen wurden in unserem Büro zahlreiche Versuche durchgeführt. Neben Autoskooter-Anstößen, bei denen ebenfalls ähnliche Bewegungsabläufe auftreten können, eignen sich Schlittentests gut zur Ermittlung der Belastungshöhe. Es wurden zahlreiche Gurtschlitten untersucht, die auf öffentlichen Veranstaltungen eingesetzt werden, um die Akzeptanz des Sicherheitsgurtes in der Bevölkerung zu fördern. Diese Gurtschlitten wurden analog zu den Autoskootern bereits von einer Vielzahl von freiwilligen Personen benutzt. Hierbei kam es zu keinerlei Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule. Die bei unterschiedlichen Gurtschlitten gemessenen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen lagen zwischen etwa 10 und 13 km/h. Hierbei lagen allerdings verglichen mit Pkw-Pkw-Kollisionen extrem kurze Kollisionsdauern vor, so dass bei Gurtschlitten extrem hohe Beschleunigungen auftraten.

Im Hinblick auf die biomechan- ische Insassen- belastung ist physiologisch davon auszu- gehen, dass die Nackenmus- kulatur beim Menschen wesentlich stärker ausge- prägt ist als die Halsmuskulatur . Daraus folgt, dass bei einer Vorwärtsbewegung des Kopfes, wie sie bei einer frontalen Belastung auftritt, der Muskelapparat der Nackenmuskulatur durchaus in der Lage ist, wesentlich höhere Haltekräfte aufzubringen, als die Muskelgruppen des Halses, welche eine Rückwärtsbewegung des Kopfes abfangen müssen. Praktisch bedeutet dies, dass der Mensch einen wesentlich höheren Widerstand gegen Flexionskräfte (Vorwärtsbewegung) als gegen Extensionskräfte (Rückwärtsbewegung des Kopfes) aufbieten kann. Deshalb ist es auch allgemeiner Konsens zwischen den medizinischen und biomechanischen Experten, dass die bei Heckaufprallversuchen ermittelten Harmlosigkeitswerte und Verletzungsschwellen in jedem Fall bei einer frontalen Belastung wesentlich höher liegen müssen.

Ein mit Frontalkollisionen vergleichbarer Bewegungsablauf vollzieht sich im Rahmen einer Vollbremsung eines Fahrzeugs. Hierbei bewegt sich der Körper des Insassen ebenfalls relativ zum Fahrzeug nach vorne. Das Verzögerungsniveau bei einer Vollbremsung ist jedoch verglichen mit Kollisionen gering. Hierbei werden lediglich Beschleunigungen unterhalb der Erdbeschleunigung g erreicht. Daraus folgt, dass die mit Vollbremsungen vergleichbaren Kräfte bereits beim Blick nach unten unter Einwirkung der Erdbeschleunigung auftreten. Somit ist aus technischer Sicht die Belastung infolge einer Vollbremsung nicht geeignet, Verletzungen der Halswirbelsäule angeschnallter Fahrzeuginsassen hervorzurufen.